Kein Wert ohne Gegenwert

Kaum ein Begriff wurde in den letzten Jahren inflationärer eingesetzt als „Wert“. Unternehmen müsen den Wertewandel stemmen, verpflichten sich  – gerne in ihren bunten CSR-Berichten – neuen, nachhaltigen Werten und in der Tat gibt es bei manchen Firmen so etwas wie ein „Wertemanagement“, wie immer das auch funktionieren mag.

Werte entstehen durch Bewertungen, z.B. welches Verhalten von einer Gesellschaft als positiv angesehen wird. Mit dem gesellschaftlichen Wandel verändern sich ebenso die Werte, so ist „Sparsamkeit“ in den letzten Jahren sehr in Vergessenheit geraten zugunsten der Statusbildung via Konsum.

Das Problem liegt jedoch darin, dass Werte bipolar sind und durchaus in einem Konflikt zueinander stehen können: So kollidiert der Anspruch Transparenz und Offenheit mit dem Wert der Verschwiegenheit.Ist Wandel jetzt der Wert der Stunde oder Stabilität? Brauchen wir mehr Vertrauen oder mehr Kontrolle? Bringt uns Fleiß weiter oder Müßiggang? Halten wir an Traditionen fest oder begrüßen wir die Modernisierung? Sollen wir im Job lieber unternehmerisch denken oder den Anweisungen folgen? Und so weiter und so fort….

Schon wir als Privatpersonen wechseln unsere Werte mehrmals täglich je nach Situation: Natürlich sind wir für Ehrlichkeit, aber kleine Geheimnisse rechtfertigen die eine oder andere Flunkerei, da ist ja nichts dabei. Wesentlich schwieriger wird es für Unternehmen, die auf den gesellschaftlichen Druck hin natürlich nachhaltigen Werten gerecht werden wollen (und dazu jedes Jahr schicke CSR-Berichte (Corporate Social Responsibility) schreiben, die dann so tolle Titel tragen wie bei Ferrero: Werte teilen, um Werte zu schaffen), aber den Wertekonflikt nicht bewältigen können oder wollen. Nachhaltigkeit und Profit finden im betriebswirtschafltichen Denken kaum statt, in den Köpfen vieler Unternehmer behindert das eine das andere und in den Köpfen der Konsumenten das andere das eine. Werden diese Konflikte jedoch nicht bewältigt, dann entsteht ein Wertverlust, nämlich an Glaubwürdigkeit und Vertrauen und dieser manifestiert sich dann auch ganz profan in wirtschaftlichen Verlusten.

Manchmal reicht es jedoch schon aus, Menschen die Möglichkeit zu geben, sich zu engagieren und sie „mehr Wert“ schaffen zu lassen

Jeder vierte Einwohner ist in Philadelphia auf staatliche Lebensmittelmarken angewiesen, die Zahl der Obdachlosen ist so hoch wie in kaum einer anderen amerikanischen Stadt. Rosa’s Fresh Pizza hat mittlerweile weit über 10.000 Stück Pizza an Obdachlose ausgegeben, im Schnitt 40 Mahlzeiten am Tag. Kein komplett neues Prinzip, so gibt es seit über 100 Jahren in Neapel und Süditalien den Brauch des Caffè sospeso, bei dem zwei Caffè bezahlt, aber nur einer getrunken wird. Der zweite Espresso wird dann vom Barista auf Nachfrage an einen Bedürftigen ausgegeben. In Zeiten der Wirtschaftskrise ist diese Sitte über Neapel hinaus auch in Spanien, Bulgarien und vielen anderen europäischen Ländern aufgenommen worden.

Die Initiative Suspended Coffees Germany versucht, dies nun auch in Deutschland zu etablieren und bei Facebook kann man der globalen Initiative folgen. Diese Form der Selbstverwaltung wird immer dann nötig (und momentan immer nötiger), wenn ein Mangel an politischer Führung ausgeglichen werden muss.

John M. Sweeny, Gründer und „chief kindness officer“ der „suspended coffees„-Bewegung erklärt abschließend in diesem TEDx-Talk, warum es um mehr geht, als um Kaffee, und wie gut es uns selbst auch tun kann, Werte zu leben und nicht nur von ihnen zu reden: